Technik im Kopf, Technik als Bild

Wahrnehmungen und Gedanken zu Wolfgang Schifflings Radwerdung

Jürgen Hoffmann

Fließender Verkehr

Im Lichthof der TU Berlin ist, einmalig, die große Ausstellung des Malers Wolfgang Schiffling zu sehen. Sie umfasst 100 Gemälde, 133 Radierungen/Digitaldrucke und 29 Leuchtkästen. Die Gemälde sind in Form einer schwebenden Kugel gehängt, die Leuchtkästen umgeben den Lichthof, und die Radierungen ziehen sich im mittleren Wandelgang um die Bilderkugel in deren Formation die Gemälde einhergeschwebt kommen wie kosmische Flugblätter.

Die Ausstellung bietet Produkte aus fast drei Jahrzehnten künstlerischer Arbeit dar, sie zeigt damit ein Gutteil des bisherigen Lebenswerks des Künstlers.
Die vom Architekten Norbert Roth digital errechnete Plazierung der Gemälde im freien Luftraum über dem Innenhof ist, visueller Paukenschlag, nicht nur Ausstellungsdesign, sondern überdies augenfälliges Tableau von Fragen, denen der Künstler in seiner Arbeit praktisch nachgeht:

Wie verhält sich die Raum-, die Realitätsfiktion in den Bildern zum Realraum in der Kugel? Allgemeiner: Ist die Bildlichkeit, die Malerei erzeugt, erkenntnisähnlich? Wenn sie visualisierte Reflektion wäre, worin bestände dann das eigene Wesen der Malerei?
Ist das Bild Botschaft, das der Betrachter nur kognitiv zu entschlüsseln braucht, dann hat er es? Oder ist das Bild ein Drittes, Unerforschtes?

Die Ausstellung stellt ein Werk vor, das sich als Prozess mit unterschiedlichen Phasen zu erkennen gibt, die mühelos fließend ineinander überzugehen scheinen, in Wirklichkeit aber viele Gedanken und Offenbarungstermine enthalten. Von Anfang an steht die Grundfrage: Mensch - Technik - Bild, genauer vielleicht: Technik im Bild, oder noch genauer:
Wie bekomme ich des Menschen (mein, dein, unser) Verhältnis zu Technik aus Lebenswirklichkeit und Sprache ins Bild hinein?
Diese Grundfrage zieht sich durch das gesamte oeuvre. Entscheidend aber für die Wahrnehmung von Schifflings Werk ist die Tatsache, dass seine künstlerischen Mittel - Linie, Farbe, Form ... - bei zunehmend reflektierter Anwendung, und wäre es hinterm Rücken seiner philosophischen Positionen, immer sichtbarer zur Darstellung ihrer selbst gelangen. Die Tendenz geht generell auf Entmaterialisierung sowohl der Bildinhalte wie der Bildkörper.

Werklogisch setzt Schifflings Malerei mi crash-Motiven ein, Konnotation Straßenverkehr, Unfall. Das Auto ist technischer Gegenstand schlechthin, Technik damit, gleichsam natürlich, Gegenstand von bedeutungserzeugender Malerei, und zwar als Konfliktkonstellation erfasst, auf Störfall gestellt.
Bildideen werden per Collage gefunden, ein Verfahren, das den Raum-Zeit-Zusammenhang im Bild zertrümmert, im Fragment jedoch Illusionismus weiter zulässt und zu Glanzlichtern auf Kotflügeln verführt. Trotz der Verfremdung durch Collage setzt sich Abbildlichkeit durch (wie?); die Botschaft der Bilder lässt sich als Implantat des malerischen Bestandes herauspräparieren. Als es so weit ist, lautete des Malers Forderung an sich selbst: Das kritisch Plauderhafte muss aus den Bildern raus!

Wir erkennen als neue Qualität der Oberflächenforschung des Künstlers, dass er die Bildkonstruktion nicht noch einmal mit dem (dekonstruierten) Illusionsbild „Auto“ beginnen lässt, sondern dessen Abstraktion in zwei Dimensionen aufgreift: Planzeichnungen, Abwicklungen der Oberfläche, „Häutungen“.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden, Pappmaché, anderen Endformen zugeführt als dem ikonischen Idealbild „VW“ und vielfältig symbolisch bearbeitet. Das Produkt nimmt aktuelle psychologische und soziale Bedeutungs-Injektionen in sich hinein.

Nach diesen plastischen Erkundungen im Realraum bricht Schiffling zu neuen Ufern auf: bezieht elektronische Geräte wie Fotokopierer, Rechner, Bildprojektor in die Herstellung seiner Bildvorlagen, Bilder und Radierungen ein. Diese Erweiterung des Instrumentensets verschafft ihm schier unerschöpfliche Möglichkeiten zur Konstruktion imaginärer Räumlichkeit und zur Simulation von Bewegung im Bild.
Der Fokus der Aufmerksamkeit verlagert sich dabei von der Gestalt der Kraftmaschinen fort zur Wahrnehmung und Verbildlichung von Strukturmomenten und Geschehensrastern: von Kraftströmen, Überschneidungen von Gestaltschichten, Bewegungen. Spezifisch für alle diese Arbeiten ist etwas Äußerliches, nämlich, dass die digitalen Erfindungen bei ihrer Transformation in Kunst allesamt aus dem Reich des Digitalen in Handarbeit zurückübersetzt werden, sei es als Gemälde Ölfarbe auf Leinwand, sei es als Radierung = Ätzradierung auf Kupfer/Druck auf Bütten.
Diese Produktionsweise befreit die bildnerischen Ergebnisse nahezu total von den Spuren spontaner Handschrift, und Schiffling verfolgt diese Tendenz noch weiter, indem er, vor allem in seinen Radierungen, digital veränderte Zitate aus eigenen Werken oder von anderen Künstlern z. B. als Fotokopien einmontiert.

Die einstweilen avancierteste Form der Entmaterialisierung und Entsubjektivierung seiner Kunst stellt sich in den Leuchtkästen vor. Diese Gebilde funktionieren nurmehr als Lichtdaten auf gläsernem Display bei rechteckiger Außenform, die man übersieht, als wäre sie nicht da. Das Bild ist ohne Oberflächenhaftung, gleichsam ohne Materialeigenschaften, es schwebt, wenn der Strom eingeschaltet ist, frei im Raum, Kunst aus der Steckdose! Da die Leuchtkästen-Bilder identifizierbar Abbildhaftes nicht aufweisen, ohne Arbeitsspuren oder subjektiv Handschriftliches zu sein scheinen, wirken sie, als wären sie unmittelbar der strukturellen (Weltall) Wirklichkeit entnommen; sie erheben damit einen Anspruch auf technische Authentizität, der Kunststücke und den Kunstzusammenhang vergessen macht.

Bemerkenswerterweise hebt Wolfgang Schiffling in Selbstzeugnissen, Kommentaren oder in den Werktiteln stets auf die Bedeutungsebene seiner Produktion ab. Der Zusammenhang zwischen den intersubjektiv feststellbaren Bildbefunden und ihren sprachlichen Bezeichnungen ist durchweg vielschichtig und mehrdeutig; die Palette der sprachlichen Varianten umfasst Umgangssprachliches ebenso wie emphatisch privatsprachliche oder auch mythologische und mystifizierende Wendungen. Viele Äußerungen enthalten einen technikkritischen, ja eschatologischen Unterton; viele Werktitel lancieren ontologische Deutung. Wer diese Brücken als Zugangswege probiert, kommt zwar vielleicht mit dem Künstler ins Gespräch, wird jedoch gewiss gewahr, dass die sprachlosen Bilder der Ausstellung eine andere Sprache reden. Ihre Wahrnehmung verliert mit der gewohnten einheitlichen Blickrichtung den Boden unter den Füssen, sie löst sich auf, wird zu einem von Bild zu Bild unterbrochenen und wieder aufgenommenen Vollzug. Der Bedeutungsüberschuss der sprachlichen Bekundungen korrespondiert im umgekehrten Verhältnis zur inhaltlichen Verflüchtigung, der die Gemälde in der Kugel unterworfen sind. Der Raum der Kugel ist keine Sprechblase, er schweigt. Die hier ausgelöste Unruhe ähnelt dem Gefühl des Verlustes eines Ringes vom Finger - die Suche beginnt.